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→ Fragebogen »Maildistance«

Elke Elke Krasny , 2004

Von der Wirklichkeit der Angaben
Über das Projekt "Maildistance"


Blank – Panel – Painting

Welche Wege führen in ein Bild und welche Wege schlägt eine Malerin ein, um diese ins Bild zu setzen? Mit Mail.Distance arbeitet Barbara Höller an der entscheidenden Frage, wie entsteht, was zu sehen ist und wie,  was zu sehen ist, nicht das zu sehen gibt, wie es geworden ist. Malen, das ist ein einsamer Akt. Allein, so stellen wir uns die Malerin bei der Arbeit im Atelier vor. In ihrer Vorstellung entwirft sich das, was dann zum Bild werden wird. Im Winter 2003 startete Barbara Höller eine künstlerische Untersuchung zur Natur des Bildes, die den Alleingang des herkömmlichen Schöpfungsprozesses radikal in Frage stellt. Sie setzte auf Mitbestimmung nach Regeln, von denen noch die Rede sein wird. Ist das Bild zuallererst »blank« oder ist das Bild zum Zeitpunkt seiner Bild-Werdung bereits vordefiniert. Es geht um nichts weniger als um die Natur des Bildes in seiner Entstehungsgeschichte.

Seit geraumer Zeit wird in den Natur-  und Humanwissenschaften die Blank Slate-Theorie wieder heftig debattiert. Mit seiner pointierten Untersuchung »The Blank Slate. The Denial of Human Nature« setzt Steven Pinker auf analytische Provokation. In der Konstellation ‚Nature’ versus ‚Nurture’ gibt es nur Unreinheiten zu vermelden, aber durchaus klare Fronten in den wissenschaftlichen Glaubensgrundsätzen. Ist die Natur des Menschen anfänglich tabula rasa und schreiben sich Moral, Gefühle, Denken, Weltvorstellungen dann nach und nach ein? Oder ist der Mensch durch seine Natur in höchstem Ausmaß prädisponiert? So einfach lassen sich soziale Veränderbarkeit und menschliche Eigenverantwortung nicht vom Tisch kehren. Und wenn, dann bleiben sie der aufrührerische Bodensatz der Debatte. Warum diese Kontroverse, die das 19. Jahrhundert philosophisch und wissenschaftlich bewegte,  zugespitzt zum  unversöhnlichen Gegensatz nun wieder en vogue ist, das lässt sich nur politisch verstehen. Politik, Moral, Wissenschaft, sie zeigen sich in diesen Zusammenhängen als eng verwobenes Dreieck mit zwei Seiten  an jedem Betrachtungswinkel. Denn es geht um keine anderen Implikationen als um die der menschlichen Natur selbst. Wie denken wir das Denken und uns als Menschen, wie ziehen wir anthropologische Differenzen ein, wie geraten die Natur und das Soziale, also das Gemeinwesen Mensch, gleichermaßen in den Verlust ihrer Unschuldsvermutung? Wieso sind die einen anders als die anderen, die einen anders als die einen und die anderen anders als die anderen? Und wie lassen sich die Positionen und ihre Wirkungen, die Taktiken und Strategien und ihre Richtungen bestimmen. Gruppenphänomene und ihre Urheberschaften, Einzelne und ihre Gegenüber sind in ihren Konstellationen gefordert. In diesen Prozess zwischen dem Leeren, noch ‚Blinden’ und den Artikulationen einer Gruppe stellt Barbara Höller ihre Arbeit, das Bild mit dem Namen Mail.Distance. Sie setzt auf vorgebohrte Positionen, ein Zentimeter tiefe Löcher für Acrylfarben und auf Spielregeln der Partizipation. Es ist ihre Hand, die die Farben auftragen wird, es sind ihre Farben, die den Positionen zur Sichtbarkeit verhelfen werden, aber es sind nicht die Farben ihrer Wahl. Gewählt wird durch die anderen, durch die Assistents: Mit-Bestimmung.

 

Gruppenbild mit Malerin

Wie tritt nun diese Fragestellung des Gegebenen und des Hinzukommenden, der »reinen Natur« und der Vergesellschaftung in ein Verhältnis zur Betrachtung dieses Bildes? Barbara Höller geht mit ihrer Arbeit ganz an den Anfang zurück, vor das Bild sogar. Eine quadratische dunkelgraue Holzplatte, unterteilt in 30 x 30 Koordinationspunkte. Sechshundert Punkte der Mitbestimmung, sechshundert Punkte für die Koordinaten der freien Wahl der anderen. Formale Gestaltung und soziale Positionen, das sind die entscheidenden Momente der Bildwerdung, die sich aufeinander zubewegen. Auf die Platte folgt das Wort, das Barbara Höller an andere richtet,  via e-Mail. Am Ende steht ein Bild, das in einer noch so detaillierten Beschreibung seiner Erscheinung uns nicht entschlüsselt, wie es geworden ist, was es zu sehen gibt. Denn die Malerin hat eine Methode gewählt. Und aus dieser Methode resultiert Malerei, mit vielen punktuellen Einzelpositionen, die dann erst ein ganzes Bild ergeben. Gruppenbild mit Malerin. Sie setzt auf das Vorher der Einschreibungen. Hat ein Bild im Kopf, ein Bild ihrer Methode, jedoch kein Bild ihres Bildes. Das Bild ihrer Methode teilte sie mit, als Aufruf, via Internet. Kunstspam, sagt sie lapidar dazu. Für die sechshundert Punkte ihrer quadratischen dunkelgrauen Holzplatte suchte sie ‚assistents’ Und jede Assistentin, jeder Assistent legt in ihrem Bild eine Wegstrecke zurück, markiert ein richtungsweisendes, farbgebendes Territorium, steckte das Terrain für die Malerin ab.  Den konnte man, wie das Einladungsmail es vorschrieb, das Bild mit definieren, mit drei Angaben: Endpunkt, Richtungsangabe, Farbverlauf. Der Prozess der malenden Erkundung der Vermessung eines  Bildes als kompositorisches Punkte-Gelände verlässt sich auf die Anteilhabe der anderen am Prozess der Entstehung. Also war das »panel« nicht wirklich »blank« Vielmehr wurde das panel zum control panel, das Tafelbild zur Schalttafel der kulturellen Kodierung und der visuell-navigatorsichen Terrainvermessung. Denn es gab das Vorher der Angaben mit ihrer eigenen Wirkungsmacht. X, Y, die Koordinaten der Wahl, Norden, Süden, Osten, Westen, man musste den Winkel der Fortbewegung festlegen und wohin die Farben Gelb, Rot, Blau, Schwarz, Weiss, auch in der Möglichkeit eines Mischungsverhältnisses von zwei dieser Farben, gehen sollten. Die Vorgaben, sie sind der Hintergrund dieser gruppen-dynamischen Reflexionsfolie Bild. Die Dynamik der Gruppe ist keine Dynamik unter ihren Mitgliedern, sondern durch ein Medium hindurch, dieses Medium ist zugleich deren Urheberin, die Malerin selbst. Denn von ihr wird die materielle Erscheinungswelt der Koordinaten, Richtungen  und Farben der Gruppe der 84 assistents bestimmt. Sie materialisieren sich. Also, doch und ganz zentral Malerei. Und kein Computerprogramm, in das man seine Wahl eingibt und klick verändert sich die Ansicht. Aber auch kein reines Bild. Kein Bild, das Höller vor ihrem inneren Auge gesehen hat und dann den »blank panel« zu bearbeiten begann. Noch eine Bedeutung des panels, wie wir sie kennen, hat sich in diese Malerei hineingebracht. Das panel als Podium, das seine Stimme erhebt, die andere dann zu sehen bekommen können. Viele Teilnehmende, deren wählende Stimmen entscheiden, wie eine Malerin an ihrem Bild arbeiten wird. Mehr als das Bild hat Höller die Rahmenbedingungen gesehen, unter denen es sich entwickeln kann. Dynamisch. Um zu anderen Positionierungen als den eigenen zu gelangen, setzte sie auf einen Fragebogen, versandt via Internet. Persönliche Stellungnahmen erbeten, aus der sicheren Distanz virtueller Kommunikation. Zeitgemäß, also. Und das Bild reflektiert, ohne selbst zu denken. Es reflektiert die Partizipation, die Wahl derer, die wählen wollten (oder konnten). Also ein politischer Prozess. Die Methoden scheinen vertraut,  Fragebogen, Mails. Von der Sozialwissenschaft über die Marktforschung werden wir mit diesen Instrumenten erfasst. Aber von der Kunst? Das ist doch etwas anders. Soziagraphie und ihre Urheberin. Die Malerei auf der Suche nach Auftraggebern. Eine Position, deklariert.

Ein »blank panel« als Ausgangspunkt für die Manifestationen der Entscheidungen der TeilnehmerInnen. Man konnte sich etwas wünschen, aber nicht im Sinne von ‚liebe Malerin male mir’ den Apfel, der nicht weit fällt vom Stamm oder mein Gesicht, wie ich mich selbst noch nie gesehen habe, sondern aus Rahmenbedingungen. Streng, genau, geometrisch. 7/7,  S’O, B BG oder 15/30, N O, BR W, so sahen dann die Antworten aus. Kulturelle Wegmarken des Alltags, Verortungen im Raum, richtungsweisend, Farben der Wahl, farbgebend, Die kulturellen Kodierungen werden zu künstlerischen Positionen, von allen, in einem Bild. Das Terrain des Bildes, der Akt der Vermessung wird zur gemeinsamen Gestaltungsaufgabe. Und auf dieses Mail konnte man sich einlassen, seine persönlichen Richtungs- und Farbvorlieben bekannt geben.

 

Mit Bestimmung

maildistance by Barbara HoellerDie AssistentInnen werden zu fernbestimmenden AkteurInnen ihres künstlerischen Arbeitsprozesses. Lauter autonome Entscheidungen, getroffen von vielen, die ein Gemeinsames produzieren. Die anderen sehen eine Wahlmöglichkeit, sie beziehen Position, bekennen Farbe. Alles Aussagemodi, die wir in unserem kulturalisierten Sein, mit politischen, zwischenmenschlichen Aktionen in Verbindung bringen. Wir bekennen Farbe, wenn wir uns entscheiden, für Rot oder Schwarz oder Blau. Wir beziehen Position, für uns alleine, in der Wahlzelle, gut abgeschirmt von den wachsamen Augen Dritter oder Vierter. Geheim. Und wir leben in den Ergebnissen, unsere Positionsbestimmungen unserer Farbwahl. Doch hier geht es nicht um politische Entscheidungsfindungen. Hier geht es um Kunst, und die ist per se öffentlich. Wie wir wissen. Punktum. Und diese Kunst hat es von einigen von uns abverlangt, Stellung zu beziehen. Ein Vokabel, das uns genauso vertraut ist aus dem strategischen und navigatorischen Kontext. Wo wir stehen, das sollten wir wissen. Wie wir dazu stehen, dass wir dort stehen, ebenfalls. Wo wir uns hinbewegen, in welche Richtung, das ist entscheidend, lebensentscheidend in manchen Fällen. Bildentscheidend in diesem. Wir, die AkteurInnen haben als AssistentInnen mitbestimmt. Das Ergebnis führt es uns nun vor Augen. In Farben und Formen. Die äußeren Kriterien, sie sind entscheidend, im Rahmen der Möglichkeit der Wahl. Vielleicht würden wir das nächste Mal einen anderen Weg gehen. Und schon wenn eine einen anderen Weg als den ihren wählen würde, sähe das Bild anders aus. Jede Entscheidung macht einen Unterschied.

Die Malerei fällt aus dem Rahmen, von dem es dann wieder gehalten wird. Zusammenhalt der einzelnen Positionen. Und sie kehrt zu der ihr eigenen Natur zurück, wird Bild, Punkt um Punkt. Natur und Vergesellschaftung, Biologie und Humansimus, sie erfahren ihre Bestimmungen durch ihre Wechselverhältnisse, abeklärt bis turbulent, grenzverschwimmend bis überschreitend. Durch Mail.Distance lässt Barbar Höller Kunst und Gesellschaft zueinander Position beziehen. Gerade der Sicherheitsabstand der Anfrage führt zur Wirklichkeit der Angaben. Man steht nicht vor dem Bild, wenn man wählt. Man wählt aus der Entfernung und ist dennoch mitten drinnen. Man kann nicht bestimmen, was die anderen bestimmen. Aber man hat die Wahl. Wie in der Fernwirkung politischer Mitsprache, die einen dann vom Ergebnis der Wahl ins Bild setzt. Ein Bild, das mehr Fragen aufwirft, als es beantworten kann. Und das ist gut so. Genau darin liegt seine Qualität, unbestreitbar. Denn es ist nicht eine dafür verantwortlich zu machen, wie es aussieht, sondern 84 und 1.

 

Das Bild demonstriert

»Vielleicht sagt ein poetischer Satz das, was ich nicht weiß«, sagt Peter Waterhouse in »Die Schule der Atheisten. Lehrbuch der literarischen Mathematik«. Vielleicht sagt die Komposition dieses Bildes, von der wir auf den ersten Blick nichts wissen, alles aus über das, von dem wir unseren Blick bei der flüchtigen Betrachtung abwenden. Die Poesis. Kehren wir zurück zur Entstehung, dann entschlüsseln sich uns die Wege, die in dieses Bild führten, aber das sind nicht die Wege, die aus dem Bild wieder herausführen. Es hat etwas stattgefunden, die transformierende Kraft des Miteinander, streng in Szene gesetzt von einer Choregrafin, die die Wege zu Malerei werden ließ. Die Kugel rollt. »Einmal um die Welt«, sagt Barbara Höller, wenn sie die positionierenden Angaben, zum Bild werden lässt. Und so wird es offenkundig, dass das Draußen mitten drinnen ist in ihrem Arbeiten. Dass das Innere des Bildes nach dem Rhythmus des Draußen schlägt. »Kunst als Demonstration: Das Faktische, das Konkrete, das Offenkundige«, schreibt Barbara Rose in ihrem Beitrag zu Minimal Art. Eine kritische Retrospektive« und dann zitiert Rose Ludwig Wittgensteins Philosophische Untersuchungen. »Was heißt es aber, daß wir diese Elemente nicht erklären können (d.h. beschreiben) sondern nur benennen können? Das könnte etwa sagen, daß die Beschreibung eines Komplexes, wenn er, in einem Grenzfall, nur aus einem Quadrat besteht, einfach der Name des Farbquadrates ist.« Man konnte seine Position benennen, wählen, die Erklärungen dazu liegen nicht im Bild, aber sie organisieren dessen Oberfläche. Sie liegen außerhalb des Bildes, aber sie bestimmen seine Erscheinung. Sie haben eine Spur hinterlassen, ein Zentimeter tief, farbig. Und diese Spur erinnert an die Wahl, an den Prozess des Entscheidens, an die Malerei mit Bestimmung. Nicht das Bild, das entstanden ist, ist ein politisches, das Bild ist ein Bild, sondern die Methode, die zu diesem Bild führte, reflektiert in seiner Methode Politisches, die Ordnung eines Ausschnitts von Gemeinschaft. Eine Gruppe von 84 Menschen hat sich ins Bild gesetzt, nach den präzisen Spielregeln des Bildes selbst, das seine Malerin urhebend ihren Assistents mitteilte. Auch von arbeitsteiligen Verfahren ließe sich sprechen mit diesem Bild. Denn  die Kunst will nicht einsam bleiben. Aber wo finden MalerInnen heute (noch) ihre AuftraggeberInnen? Sie müssen sich auf die Suche begeben nach ihnen. Jede Entscheidung, ein Auftrag, ein Weg, Punkt. Basisdemokratische  Dauerwurstelei ist passè. Das panel hat entschieden. Viele haben bestimmt, eine hat gearbeitet. Eine hat bestimmt, viele haben gearbeitet. Arbeits-Teilung. Und am Ende steht das Bild, für sich, hat die Methode seiner Entstehung in sich aufgenommen, hat die Rätsel seiner Genese transformiert, ist etwas anderes geworden, Malerei mit Bestimmtheit.

Den Malerinnen und Malern sind die Gegenüber, die Auftraggeber abhanden gekommen. 



Elke Krasny