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Dagmar Dagmar Travner, 2002

NULL + NICHTS = LOCH + ETWAS


Kreise, Sprünge, abstrakte Irritationen. Die strenge und doch farblich fröhliche Komposi-tion in den Bildern Barbara Höllers regt sowohl Intellekt wie auch – nicht zuletzt – Phantasie an. Punkte auf und in quadratischen Platten – sind das herauslugende Clownnasen, Brustspitzen, in Steckdosen geronnene Dispersionsfarben? Steckt eine mathematische Ordnung dahinter? Was "be-deuten" die Löcher? Können Löcher ei-gentlich auch "etwas" sein? Etwa gar das Wichtigste?
Die Bohrungen bergen Füllungen mit verschiedensten Farbeffekten: monochrom spröde, charakterisiert von Sprüngen und Rissen; zweifarbig elastisch, wie Pudding wirkend, herum ein konturierender Kreis gezogen; schließlich aus mehreren konzentrischen Kreisen bestehend, das Loch zum Teil ausfüllend – eingesunken in einer Art Wasserhose, einem Strudel, einem Farbsog. Die mit mathematischer Akribie konzipierten Objekte wirken sehr dekorativ, geradezu an der Grenze zum Gefälligen, und passen ideal in zeitgemäß designte Räume.

MATHEMATIK
Die 1959 in Wien geborene Barbara Höller lebt nach einigen Jahren in Neunkirchen nun mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn Simon in Wilfersdorf bei Tulbing oder in Wien. Sie besuchte die Hochschule für angewandte Kunst und studierte einige Semester Mathematik – was sich heute noch in ihren Arbeiten widerspiegelt. Schon 1986 stellte sie erstmals in der Mödlinger Galerie Arcade aus, 1987 und 1994 erhielt sie Anerkennungspreise des Landes Niederösterreich. Von da an ging es Schlag auf Schlag, besonders wichtig dabei waren ein Rom- und ein Japanstipendium. Obwohl ihre Arbeiten "japanisch" anmuten, schätzt sie selbst diesen Einfluß als gering ein: "Minimalistisch war ich schon vorher – höchstens das Reispapier, ja, das hab ich von dort."

Die Malanfänge an der Angewandten waren unspektakulär: "Ich hab sehr gestisch und emotionell begonnen als junges Mädchen". Allerdings arbeitete sie bereits damals gern in Serien, wiederholte so lange ein Thema, bis es ausgereizt war. Für sie war das "der Ansatz zum Konzept". Aber im Unterschied zur "Conceptual Art" der sechziger und siebziger Jahre, die schließlich in einer reinen Ideenaufzeichnung kulminierte sowie der heutigen perfektionistisch ausgeführten, hintergründigen Konzeptkunst, bleibt Höller – ähnlich einem Ernst Caramelle – dem abstrakten, streng geometrischen Raum verhaftet. Mit ihrem Mann, dem Architekten Konrad Rautter, entwarf sie jahrelang Instal-lationen. "Der kommt rein vom Konzept her, der denkt erst einmal nach, bevor er irgend etwas täte …" Obwohl sie sich ihrer Überlegungen ganz genau bewußt ist, bewahrt sich Höller trotzdem den künstlerisch intuitiven Spielraum und setzt absichtlich der geometrischen Tüftelei, die eine ganze Serie bestimmt, die willkürliche, spontane Gestaltung der einzelnen Bilder entgegen. So liegt den neueren Arbeiten zwar ein mathematisch begründetes Liniengeflecht zugrunde, das die Rasterpunkte ergibt, die jedoch dann einfach nach Gutdünken, ja der Laune des Augenblicks folgend, tatsächlich angebohrt und mit Farbe gefüllt werden.

Regelmäßig bis drei Uhr verbringt Höller ihre Zeit im Atelier mit Nachdenken, Brüten oder dem Ausführen der Arbeit: Bohren, Farbe Auftragen, Schleifen…: "Also ich komm nicht in der Früh mit ,der Idee‘ hierher und setz sie dann um, das hab ich zwar manchmal probiert, aber das ist nicht befriedigend. Die Materialität ist für mich sozusagen das Du, das Gegenüber." Anschließend läßt sie sämtliche Gedanken um die Arbeit im Atelier zurück und holt ihren Sohn aus dem Kindergarten ab. Sie widmet sich voll und ganz dem gegenwärtigen Tun, das ist Teil ihrer Philosophie.

Eine ihr eigene Ausdrucksform fand Höller zunächst mit Arbeiten auf Pappelsperrholz, auf dem sie Flächen abklebte und dann die ganze Platte in dunklen Farben grundierte. Nach dem Lösen der Klebestreifen blieben als Motiv die Formen der unbearbeiteten Platte. Von unten betrachtet wirken die frei-gelassenen Flächen wie ein aufgeklebtes Muster. Der eigentliche Hintergrund wird zum Vordergrund. "Ich hab mich jahrelang damit beschäftigt, den Untergrund, das Material, auf dem man normalerweise malt und zumalt – daß ich das sichtbar mach’ und als Zeichen verwende."

Interessant auch ihre Serie "Dächer", die sich an der Grenze zur Installation bewegt; hier verwendete sie erstmals Durchbohrungen als gestaltendes Element: "Das sind Arbeiten, unter denen man stehen kann, und das deckende Dach ist durchlöchert. Ein Zynismus eigentlich, wenn’s regnet …" Der Grundstein zu dieser Technik der Bohrungen wurde während ihres Romstipendiums gelegt, wo sie eine alte durchlöcherte Türe zu ihren späteren "Drillings" inspirierte. Jedoch im Gegensatz zur pittoresken römischen Türe ist es "mir auch wichtig, daß dieses Material ein industriell gefertigtes ist, eben nicht romantisches Holz, sondern wie Dinge, mit denen wir leben müssen – Industrie, Vorgefertigtes, das ist unsere Umwelt."

Die Bilder, die derzeit bei Eco Plus in der Wiener Innenstadt ausgestellt sind, reflektieren ein stilistisch breitgefächertes Werk der letzten zwei Jahre, haben jedoch ein gemeinsames Thema: Durchbohrungen, Bohrungen... Etwa "LOCH 01", Tinte auf einer Faserplatte mit einem quadratischen Lochmuster mit Durchbohrungen identischen Durchmessers. Die blauschwarze Platte erhält durch den Hintergrund der Wandfarbe erst Gestalt. "LOCHWEISS 02", Weiß auf Weiß, hingegen ist bereits spitzfindiger: Die weißgrundierte Platte beinhaltet zwar ein quadratisches Lochmuster, die Bohrungen wirken jedoch verschieden tief, da die Löcher selbst wieder unterschiedlich hoch mit weißer Farbe aufgefüllt sind. "Beim Malen gibt man dazu, nämlich Farbe – und ich nehm’ auch weg. Dieses Dazugeben und Wegnehmen sollte in der Balance sein." Auch sieht Höller den Schatten selbst als malerisches Element, der die Farbe ersetzt. "Schatten statt Farbe, das ist eigentlich austauschbar."

In ihren genau ausgeklügelten Konzepten bricht ihr zweites Interessengebiet bei ihr durch: "Ich bin keine wirkliche Mathematikerin, ich liebe zwar das geordnete Denken, doch ich erfind’ lieber, ich spiel’ mich mit der Mathematik herum – ich setze mir Spielregeln bei den Bildern, sozusagen." Ein kleiner Kniff, wie das Axiom der Zahl Null, das sich in ihren Bohrungen ikonisch durch die Kreisform und intellektuell durch den Begriff des Nichts im Loch widerspiegelt, hat unsere Geschichte grundlegender verändert, als wir es uns alle träumen lassen…

Das Durchspielen unterschiedlicher Möglichkeiten ist für die Künstlerin ebenso wichtig wie das, was nicht ist. "Sein und Nicht-Sein, das eine kann ohne das andere nicht existieren." Der Körper erst erschafft den Raum, in dem er steht, das Material um seine Aussparung bildet das Loch, ein Loch durch einen Bildträger hindurch eröffnet den Blick in einen neuen Raum, über die Bildebene hinaus in eine dreidimensionale Welt. Anders freilich als bei Lucio Fontanas "concetti spaziali", Raumkonzepten, die durch ihre "buchi", Löcher, auf die Unendlichkeit weisen sollen, geht es Barbara Höller um die Auslotung der Grenzen von Materialität.

In unserer Welt der geradezu unerträglichen Bilderflut nehmen sich daher Barbara Höllers Bildobjekte als Inseln der Ruhe aus, Bildpunkte als stille, horchende Pole mathematischer Anordnung mit künstlerischer Improvisation gepaart; Arbeiten, die ganz und gar nicht eintönig sind, sondern vielmehr in ihrer Strenge sehr lebhaft die Gedanken des Betrachters anzuregen vermögen.

Dagmar Dagmar Travner
(erschienen im MORGEN, Kulturzeitschrift aus Niederösterreich, 07/2002)