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Silvie Aigner, 2005

Barbara Höller

 

»Nicht nur die Bilder eines einzelnen Meisters, auch die Bilder einer Generation in ihrer Gesamtheit haben ihren bestimmten Pulsschlag. Es wird ein neues Verhältnis von Raum und Füllung festgestellt, die Kompositionen werden gewichtiger, und in Lineament und Modellierung empfindet man denselben Geist der Ruhe, dasselbe gehaltene Wesen, das der neuen Schönheit unentbehrlich ist.«
aus: Heinrich Wölfflin - Die klassische Kunst, Basel 1898

Folgt man der von Clement Greenberg 1940 für den Pulsschlag seiner Generation geforderten Reinheit der Kunstgattungen, so ist die Malerei eine Kunst der Fläche, die durch die Verwendung illusionistischer Stilmitteln und erst recht mit einer gezielt auch den räumlichen Aspekt betonenden Malerei eine unzulässige Gattungsüberschreitung vornimmt. Ein modernistisches Bild ist nach den Vorstellungen Greenbergs beschränkt auf die Zweidimensionalität und abstrakt. 1

Allerdings bestimmte der künstlerische Widerspruch zu Greenbergs Thesen den weiteren Verlauf der Kunstgeschichte. Die Betonung einer autonomen Aussagekraft der Formen, die ihre Elemente nicht durch die herkömmliche Abstraktion gewann, sowie eine Malerei, die sich mit sich selbst und ihren immanenten Ausdrucksmittel beschäftigte ist nur eine dieser Tendenzen. Aber gerade in diesem Spannungsfeld der Malerei zwischen Objekthaftigkeit und Zweidimensionalität und der Fragestellung nach dem Materialcharakter der Farbe bewegt sich das künstlerische Werk von Barbara Höller. Der Aufbau ihrer Bilder folgt einem Bemühen um Systematisierung durch das Festsetzen von Spielregeln vor dem Malprozess. Die Strukturen der kreisrunden Bohrungen organisieren die Fläche der MDF-Platten, geben indifferente Raumtiefe wieder und negieren jeglichen hierarchischen Bildaufbau um ein Zentrum. Vielmehr erfolgt der Aufbau des Bildes durch zwei kompositionstragende Grundelemente: Dem Wegnehmen von Volumen durch die Bohrungen in den Bildträger und dem Wiederauffüllen der selben mit Farbe. Bereits ihre frühen Arbeiten thematisierten die Frage nach der Bedeutung des Bildträgers und der Oberfläche, in dem die zunächst abgedeckte und nach dem Malvorgang wieder bloßgelegte reine Holzplatte Teil der Komposition wurde.

2002 begann Barbara Höller schließlich die Oberfläche des Bildträgers anzubohren, zunächst nach einem scheinbar zufälligen System, später in einem strengen linearen Raster. Nicht zufällig bezieht sich Barbara Höller in diesen ersten Arbeiten zunächst auf die klassische Ölfarbe, die nicht nur in einem ehrwürdigen historischen Kontext steht, sondern auch, ohne Schutz durch Firnis oder Grundierung, einem zerstörerischen Trocknungsprozess unterworfen ist. Die von ihr verwendete Mineralmischfarbe wird spröde und springt auf, bildet Risse. Das zeitgenössische Bild zeigt plötzlich Spuren eines Alterungsprozesses.

2003 entstanden dann die ersten Farbverläufe mit Acrylfarben. Bilder in denen Barbara Höller den Zufall weitgehend ausgegrenzt, wenngleich das Ergebnis trotz festgelegter Parameter für die Künstlerin nicht vorhersehbar ist. Sie schafft sozusagen die Rahmenbedingungen unter denen sich die Farbe in ihrem Verlauf entwickeln kann. Die Reihe beginnt mit Weiß, die Farbe - standardisierte Acrylgrundfarbe - wird, um die Regelmäßigkeit des Auftrages zu garantieren mit einer Spritze aufgetragen. Das so vom Topf weggenommene Volumen, wird nun mit einer anderen, dem jeweiligen Grundton des Bildes entsprechenden Farbton aufgefüllt. Ist der Farbverlauf Rot, so entsteht zunächst ein sehr blasses Rosa, dass sich bei den folgenden Durchgängen immer stärker in ein sattes Rot verwandeln würde. Der Ablauf scheint bis ins Detail durchdacht, und schließt dennoch das Unbekannte mit ein. Denn nach Beginn des Bildes hält sich die Künstlerin an die von ihr vorgegebenen Spielregeln, und so ist der Farbverlauf allein durch diese bestimmt und von ihr nicht mehr beeinflussbar.

Der Formwillen der Künstlerin, ihr Duktus, bzw. ihr Eingreifen in den Schaffensprozess tritt hier klar hinter die Eigendynamik des Bildes. Duale Prozesse und Transferprozesse lösen die strenge Systematik der ersten Werkgruppen auf. Zwei verschiedene nuancierte Farben mischen sich alternierend jede zweite Reihe mit Weiß oder werden gedanklich auf eine Reise um die Welt geschickt um gleichsam "von oben wieder in das Bild zurückzukommen". Aus den Farbreihen werden Schattenspiele aus weißen Reihen in die ein dunkles Grau hineinzukriechen scheint. Andere Bilder hingegen pulsieren gleich einer visuellen Tonaufzeichnung in unterschiedlicher farbenergetischer Intensität. Die Struktur der Bohrungen als auch die Gewichtung der Farbintensität halten die Bilder bei all ihrer optischen Dynamik dennoch in einer ausgewogenen Balance. Trotz der sichtbaren Grenzüberschreitung hin zu einer plastischen Ebene ist das Thema von Barbara Höller die Malerei. Allerdings ohne jegliche illusionistische oder narrative Ambitionen. Daher kommt ihr auch die Beschaffenheit der industriell gefertigen MDF-Platte sehr entgegen, die keine romantischen Assoziationen zulässt, sondern vielmehr der Welt des every day life entspricht. Die darin eingearbeiteten kreisrunden Bohrungen sind Ausgangs- und Ansatzpunkt der Farbverläufe, sie bestimmen die Struktur des Bildträgers und transformieren ihn ins Räumliche. Das empirische Ausloten und das Durchdringen dieser Grenzbereiche sind die Arbeitsfelder der studierten Mathematikern. Wobei dies ein Prozess ist, der sie oft über Werkgruppen hinaus über viele Jahre beschäftigt. In weiterer Folge reduziert die Künstlerin ihre Handschrift noch mehr, in dem die ehemals handgebohrten Löcher nun maschinell gefertigt werden, was den Arbeiten eine größere Glätte und auch Strenge gibt - die körperliche Plastizität scheint zurückgedrängt. Dass die Intention der Künstlerin schließlich so weit führt, die Farbe selbst vom Bildträger zu lösen, das was ehemals auf Leinwand aufgetragen wurde bzw. von Barbara Höller in die Löcher gespritzt wurde, selbst begreifbar zu machen, ist eine logische Konsequenz.

In ihrer neuesten Werkgruppe bildet sie aus reiner Acrylfarbe variable, anpassungfähige, beliebig formbare Objekte. Klappstücke - Rollstücke legen sich um Eisenstangen, formen Körper, imitieren Stofflichkeit von Haut oder Leder, kopieren textile Faltungen und führen mitunter ein sympathisches Eigenleben. Doch führt sie nach vielen Jahren ein weiterer Weg wieder zurück zur Leinwand. Tuschfarbe breitet sich auf der Leinwand aus, bildet im Trocknungsprozess dunkel umrandete Seen und formt einen monochromen Untergrund für die, wieder mit der Spritze aufgetragenen Farblinien. Diese folgen einmal einem konzentrischen System und breiten sich von der Mitte aus zu den Seiten hin aus oder einem strengen, dem normalen Schriftverlauf auf einem Blatt nicht unähnlichen Linienspiegel. Ein Paradoxon? Nein, gelten doch die selben Parameter wie in den vorangegangen Werkserien. Die Eigendynamik und selbstständige Aussagekraft des Materials, das prozessorientierte Arbeiten nach vorher festgesetzten Strukturen. Die Farbe geht vielfach über den Rand der Leinwand hinaus und stellt einmal mehr die Frage nach dem Bildträger zur Disposition.


1) Clement Greenberg, Zu einem neueren Laokoon (1940), in ders. Ausgewählte Essays und Kritiken, Hrsg. Karlheinz Lüdeking, Dresden 1997

Silvie Aigner
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