Barbara Höller liebt Sprache und Bilder - Sprache, wenn sie der Mehrdeutigkeit der Bilder gerecht wird, Bilder, wenn sie als Metaphern für das Unsagbare fungieren. "Winkelbild", "Blinker-Bild", "Pokerspiel", oder Kürzel wie "IST" und "UND" benennen ihre neuesten Arbeiten. Die minimalistische Sprache als Instrument der Kategorisierung eigentlich unbezeichenbarer Tat-Sachen? Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, offenbart sich die Unzulänglichkeit des Benennens und Beschreibens visuell-künstlerischer Manifestationen, die jedem werkbetrachtenden Text zu eigen sein muß, vielmehr noch, wenn es sich dabei um Werke abstrakter Malerei handelt. Über Barbara Höllers minimalistische Bildäußerungen annähernd adäquat zu sprechen, bedeutet wohl eher Innehalten denn Wortflut, Zeichen redend machen, denn mit Worten zu bannen.
Wie das Wort an das Aussprechbare, so klammert sich das Auge an Offensichtliches: jene freiliegenden Quadrate, Beinahequadrate, Nichtganzrechtecke, winkeligen Rahmenformen und Linien, die zwar wichtiger Bestandteil, aber nicht eigentlich Gegenstand Höllers "Malerei" im tätlichen Sinne sind. Sie sind viel mehr Fehlstellen in einer dünnhäutigen Malschicht, den Träger - eine weiße, kaum gemaserte Pappelsperrholzplatte - dem Auge (als Projektionsfläche?) preisgebend. Was ist nun Bild? Die Fehlform? Das Umfeld? Höller sucht den Gegensatz zwischen beiden aufzuheben; ein "Sowohl-als-auch" oder "IST UND IST" soll bildhaft werden.
IST
Daß sich Polaritäten nur scheinbar als unvereinbar erweisen, ist gerade an Höllers Gestaltungsprozeß und Technik abzulesen: Die erste künstlerische Entscheidung, die Wahl der Formate, überlaßt sie der Norm. Sie ergeben sich aus den Vertikal- und Horizontalteilungen von 220 x 172 cm großen, industriell gefertigten Sperrholzplatten. Die in Skizzen vorbereitete Bildidee wird nun als Schablone auf den Träger appliziert. Mehrere Grundierungsschichten, Zwischenschliffe und der Auftrag eines Eitempera/Aluminiumstaub-Gemisches folgen, bevor in halbtrockenem Zustand die Abklebungen entfernt und die Negativ-Formen ersichtlich werden. Teilung, Verdopplung und Vervielfachung setzen sich formal und inhaltlich stimmig in der Wahl der Zeichen und Formen fort; auch sie scheinen der Welt der seriellen Produktion, des Computers, der Schaltpläne entlehnt zu sein.
Doch birgt der ausgeklügelte, fast maschinell anmutende Fertigungsprozeß in sich Unberechenbares und überraschend "Menschliches": So weiß Höller um die sensible Oberfläche des im Laufe der Zeit nachdunkelnden, Leinöl absorbierenden Holzes. Dieser dünne, weichste, weißeste und unstrukturierteste aller hölzernen Malgründe mutiert in Höllers Handhabung beinahe zum Papier, dessen spezifische Verwendung als Schablone und Träger in Collagen oder Scherenschnitten bereits vielfältig künstlerisch ausgelotet wurde und wird. Die Umrisse der augenscheinlich mathematisch konstruierten Schablonenformen erweisen sich bei näherer Untersuchung als leicht verzogen, der Strenge der Klebebänder zum Trotz.
Auch dem Übermalungsprozeß selbst haftet nur bedingt Rationalität an. Schon bei der Beschreibung der Farbwahl stößt man an Grenzen der Definierbarkeit: Die Palette Höllers enthält momentan ausschließlich gedämpfte, (laut Künstlerin) Stimmungslagen angeglichene Mischtöne. Eigenschaften wie erdig, metallisch, nacht-dunkel, nebelig-trüb, licht-atmosphärisch und von Höller selbst geprägte Farbbezeichnungen wie "Grausilbermattbeige" oder "Dunkelschwarzblau" drängen sich auf. Der Farbauftrag ist einmalig, dünn, emotional motiviert und gestisch artikuliert. Die Künstlerhandschrift variiert mit der Nachdrücklichkeit der Pinselführung - es entstehen Monochrome, die sich in ihrer Lebendigkeit (Verdichtung/Durchlässigkeit des Pigments, Transparenz, Mattigkeit/Glanz....) der Traditionen abstrakt-expressionistischer Farbfeldmalerei bzw. des österreichischen Informel einfügen. Äußerste Konzentration erfordert das Lösen der Schablonen: Jede unkontrollierte Geste mit dem Messer oder der den Klebestreifen abziehenden Hand würde die angestrebte Bildwirkung empfindlich stören. Mit letzter Präzision entläßt Höller ihre Bildschöpfungen ins Freie - zur ersten Betrachtung.
UND
"Nun ist es so ein Vibrieren in der Kopfhaut wenn man es fühlen möchte. Die Ohren zieht es hinauf, die Haare spreizen sich und ein tiefes Mißtrauen überfällt...". Diese Aufzeichnungen aus dem Notiz- und Skizzenbuch Höllers charakterisieren wohl nicht nur die Befindlichkeit der Künstlerin vor ihrem Werk, sondern möglicherweise auch die des Außenstehenden. Bei Betrachtung des Hauptmotivs - das verdoppelte Quadrat und dessen Varianten - stellt sich in Kürze Verunsicherung, ja Unbehagen ein. Suggerieren die Kompositionen auf den ersten Blick Ordnung, leicht ablesbare Maßverhältnisse und Symmetrie, vielleicht sogar Monotonie, so werden die Erwartungen des Betrachters von der Künstlerin bewußt hintertrieben. Die konkreten, vertrauten Formen werden in ihrer Positionierung innerhalb der Bildfläche zu Irritationsobjekten. Nichts ist so wie es scheint. Gleiches stellt sich nicht als das selbe heraus. In Anbetracht der leicht aus dem Zentrum gerückten und gegeneinander verschobenen Formen, verdoppelt sich gleichsam deren Balanceakt in der Befindlichkeit des Beschauers.
Mit der Wirkung blendender Scheinwerfer bei nächtlicher Autofahrt (der im übrigen die Serie "Blinker-Bilder" Name und Anstoß verdankt) umschreibt Höller in einem Gespräch den Effekt einiger ihrer Bilder: Distanzen werden schwer einschätzbar, die Formen verschwimmen in den tränenden Augen, die Beeinträchtigung des exakten Sehvermögens geht mit dem Verlust des (inneren) Gleichgewichts einher, unter körperlicher und geistiger Anstrengung sucht man nach Stabilisierung des Gefährts und des eigenen Zustandes. Die eingangs gestellte Frage nach dem Gehalt des Bildes, nach dem eigentlich Gemeinten und Dargestellten erübrigt sich angesichts Barbara Höllers neuester Arbeiten. Wird nicht die Grenze zwischen Form und Umfeld fragil und durchlässig? Die Gegensätzlichkeit von Höllers Ausdrucksmittel - geometrische Abstraktion einerseits und gestische Malerei andererseits - zur dualistischen Notwendigkeit ? Ist und Ist.
IST
"Inwieweit definiert sich die eigene Identität in der Wiederholung der Existenz in verschiedenen Räumen und in der Reibung am umgebenden Raum?" fragt sich Höller. Inwieweit definiert sich dann die Identität ihrer Bilder jenseits des Vakuums? Zur Präsentation montiert Höller 3 cm tiefe Stahlwinkel an die Plattenrückseiten. Die Tafeln berühren also nicht in traditioneller Weise die Hängfläche, sie scheinen als eigene Bild-Körper vor der Wand zu schweben. Die Künstlerin spricht in ihren Überlegungen oft von der "Objekthaftigkeit" der (sonst die Flächigkeit betonenden) Gemälde; vom Objekt, das trotz seines dinglichen Zustandes weder an der Wand noch im Raum festzumachen ist, sondern quasi "dazwischen" - "als Scheibe einer Wirklichkeit, die der tatsächlichen vorgehalten ist; ... zurückgenommen, so als könnte sie leicht wieder weggenommen werden; flüchtig, unsicher, ungreifbar."
Nicht nur der das Einzelobjekt umgebende Raum wird in das Konzept der Präsentation einbezogen, auch Hängungsabstand und, besonders im Falle der Doppelbilder, Zwischen-Raum bzw. Spalt. Dies geschieht mit für Höller selbstverständlicher Perfektion: Die Abstände zwischen den Tafeln haben ihre Entsprechungen in Maßverhältnissen innerhalb der Bilder; oft vervollständigt der Spalt erst die im Ansatz gedachte Hauptform (meist das Quadrat oder aufeinander bezogene horizontale Linien); scheinbar aufeinander zustrebende Linien stellen sich in der exakten Gegenüberstellung als leicht verschoben heraus, dagegen können durch die bewußte Verrückung der Einzeltafel ursprünglich aneinander vorbeizielende Linien - den Spalt überwindend - in der Paarung als Eins gelesen werden. Bei den Arbeiten der Serie "Pokerspiel" reimt sich erst Tafel für Tafel der (mathematische) Gehalt des Werkes zusammen.
Um-, Zwischenraum und natürlich der Betrachter selbst sind im Kalkül der Künstlerin enthalten. Zusammen-Lesen, Formen-Ergänzen, Bezüge-Erstellen, die Augen auf Einzelformen ruhen lassen, dann sich über die Bildtrennung hinwegsetzen. Der Blick tastet weiter, stößt auf bereits Gesehenes - das Gleiche? Das Auge pendelt, vergleicht, mißt, differenziert. Höllers Arbeiten offenbaren sich erst auf den zweiten Blick. Liebhaber vordergründiger ästhetischer Reize werden so schnell nicht auf ihrer Rechnung kommen. Die Macherin fordert Seh-Arbeit gegen Mal-Arbeit, Wille zur Konfrontation, Konzentration mit und vor ihren Bildobjekten. Mühsam, zugegeben! Doch: die lustvolle Empfindung der Künstlerin im Augenblick des ersten Staunens vor den von Klebebändern befreiten Tafeln findet in der Lust des Betrachters am denkenden Schauen ihren Widerhall. Gleiches für Gleiches? Nichts ist schließlich um sonst.
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