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Petra Unger 2015

Klar. Wahr. Schön.


Bunte Farbsäulen aus dünnen Schichten getrockneter Acrylfarbe. Abstrakte, zufällig wirkende, schwarze Linien, die exakt zueinander stehen. Endlos aneinander gereihte Quadrate, die zu einem visuell-beweglichen, großen Ganzen werden. In Holzplatten exakt geschnittene Kreisformen, die überraschende Farbansammlungen beherbergen und an Brettspiele erinnern. Dazwischen „Aliens“ – Kunstpositionen, die sich in keine Kategorie der bisherigen Arbeiten einordnen lassen.
So und noch vielfältiger zeigen sich die Werke der Künstlerin Barbara Höller.

Barbara Höller zentrales Medien sind Zeichnung und Malerei, deren Bestandteile sie mit ihren Arbeiten transformiert. Sie zerlegt das Tafelbild in seine Einzelteile und setzt es neu zusammen. Farbe wird zur Leinwand, das Bild zur Skulptur, Skulptur wird zum Bild. Auch der Übergang von Bild, Objekt und Raum ist immer wieder fließend, absichtlich verflüssigt. Durch Barbara Höllers „Forschungsarbeit“ über Acrylfarbe erhält diese neue Fähigkeiten: in Falten gelegt oder hängend über Tischen wirken die monochromen Farbflächen wie Textilien. In Kreise geschnitten und zu Säulen aufgestappelt, verwandeln sie sich in Skulpturen, an den Rändern zerbrechlich, eine empfindsame Außenhaut, die auf ihre Weise das stabile Innere schützt. Der Originalzustand bleibt im Inneren erhalten, während sich die Außenhaut beständig verändert. Acryl als Farbschnur zu Spiralen gelegt, die mit diesem Symbol des zyklischen Zeitdenkens zur spielerischen Annäherung an die vierte Dimension wird. Barock anmutenden Acryl-Farb-Kringel auf Holzstangen aufgetragen und in exakten Ordnungsreihen gehängt, werden sie zum Wandbild mit dem Spiel der optischen Täuschung - je nach Standort.

Barbara Höllers Arbeiten bleiben wandelbar, lassen sich immer wieder neu anordnen, drehen oder ändern in neuen, räumlichen Konstellationen ihre Wirkung. Manchmal ist es nur der Lichteinfall oder die Position der Betrachtenden, manchmal ordnet Barbara Höller ihre Einzelteile bewusst neu an. Eine lebendige, nie statische Interpretation von Leinwand, Farbe und Linie.

Barbara Höller schafft mit ihren künstlerischen Arbeiten Systeme. Sie werden nach eigenen Regeln entwickelt und sind dennoch offen für den Zufall. So versucht sie die lange, möglichst exakte Linie einer Acrylfarbenschnur aus der Tube auf einen neutralen Untergrund zu legen, als sich die Farbe widersetzt, sich zu kräuseln beginnt und völlig anderes hervorruft. Der Zufall bringt die beabsichtigte Ordnung zum Tanzen. Barbara Höller lässt das in Bewegung gekommene, tropfende, rinnende, fließende Farbmaterial gewähren und Neues kann damit entstehen. Das Material erhält Gestaltungsmacht.
Ein anderes Mal trägt die Künstlerin Acryl auf Glasplatten, Müllsäcke oder Aluminiumplatten auf. Sie kaschiert, streicht glatt, knittert, schneidet und arbeitet bei aller Offenheit für Zufälle und Materialeigenheiten technisch exakt und mathematisch-genau. Dennoch oder gerade deshalb wirken ihre Arbeiten schön und leicht.
Gehalten und strukturiert durch klare Anordnungen, durchdachte Konzepte wird dann doch nichts dem Zufall überlassen. Es ließe sich auch sagen: Der Zufall wird gezähmt. Damit verbindet Barbara Höller zwei scheinbar gegensätzliche Disziplinen: Mathematik und Kunst, Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Beides studiert sie zunächst bis sie sich für Kunst und Geisteswissenschaft entscheidet, ohne der Mathematik völlig untreu zu werden.

Sie beginnt ihre „Suchbewegungen von einer Werkgruppe zur anderen“[1]  Ausgehend von der Malerei wendet sie sich mit immer neuer Neugierde den verschiedensten Experimenten und Materialien zu. Beispielhaft erzählt sie: „Kohlenstaub bröselt auf irgendetwas. Ich finde es plötzlich total faszinierend und will es erforschen. Was ist das? Warum ist das schön? Warum interessiert mich das? Ich beginne mit dem Kohlestaub etwas Neues und experimentiere. Über das Experiment, aus dem Experiment heraus entwickle ich neue Systeme, die ich dann wieder so lange bearbeite, bis ich sie begriffen habe. Und wenn ich sie begriffen habe, finde ich wieder etwas. (...) D.h. das hat von einem zum anderen immer einen logischen Faden, den ich weiß, der vielleicht für andere überhaupt nicht sichtbar ist für´s erste und die Dinge können oft ganz anders ausschauen. Da sind die Farbtürmchen und danach kommen rechte Winkel und dass das miteinander inhaltlich sehr wohl etwas zu tun hat, ist von außen wahrscheinlich sehr schwer zu verstehen.“[2]
Es sind nicht nur für die Künstlerin logische Folgen von Forschungs- und Kunstinteresse. Auch Elemente ihrer materiellen Umwelt formen ihre Arbeiten. So können industriell gefertigte Tischplatten mit vorgegebenen Maßen zu einem Modul ihrer Arbeiten werden. Für manche Maße entscheidet sie sich bewusst. Barbara Höller arbeitet „fast immer“ im Quadrat und misst der Zahl Vier eine eigene, egalitäre Bedeutung zu. Während sie in der Dreiersymbolik, z.B. versinnbildlicht in einem Triptychon, mit der Erhöhung der Mitte im Dreieck eine hierarchische Form erkennt, repräsentiert das Viereck Gleichheit und ermöglicht zudem wandelbare Gestaltung. Barbara Höller bevorzugt Vierergruppen ihrer Werke, auch wenn ihr bewusst ist, dass dreiteilige Arbeiten visuell schneller zu erfassen und häufig auch leichter zu verkaufen sind.
Trotz aller Konzeption: Bilder, Skulpturen und Rauminstallationen geben nicht alles vor. Eigenes Assoziieren, eigene Gedanken, auch eigene Gestaltungsmöglichkeiten sind immer möglich – im Sicherheit gebenden Rahmen. Freie Improvisation braucht einen klaren Rahmen, ließe sich der Gedanke zusammenfassen. In dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit bewegt sich ihre Arbeitsweise. Und dennoch verlässt sie gerne die selbst festgelegten Pfade und Gewissheiten, will sich nicht in eine Schublade pressen lassen, liebt besonders ihre „Aliens“. Kunstwerke, die keinem ihrer Systeme zugeordnet werden können. Sie beginnt immer wieder neu, auch mit neuen Materialien.

In der Installation „Saubere Mischung“ werden 108 Glasröhrchen, Eprouvetten, mit verschiedensten, blauen Haushaltsreinigungsmitteln gefüllt, geometrisch-exakt angeordnet und olifaktorisch-raumfüllend durch die „unverwechselbaren chemischen Ausdünstungen“[3} zu einem sinnlichen Kunsterlebnis auf verschiedenen Ebenen. Das Ausstellungsprojekt in Zusammenarbeit mit Michael Wegerer versteht sich als Ergebnis einer Alltagsforschung, entwickelt als Interaktionsprojekt der beiden Künstler_innen vor dem Hintergrund philosophischer Überlegungen Bruno Latours[4] .

In ihrer Arbeit „mobil interval“ visualisiert sie alltägliche Gewohnheiten wie das allgegenwärtige Telefonieren mit einer Wandinstallation bestehend aus Linien und Leerräumen. Oder sie überzieht Alltagsgegenstände wie Bügeleisen und Laptop mit farbintensiven Acrylmustern und verwandelt liebgewonnene Gebrauchsgegenstände in Kunstobjekte.

Barbara Höller erforscht und transformiert nicht nur ihre Umgebung und Arbeitsmaterialien, sondern auch sich selbst. Aus der Selbstwahrnehmung, sehr kleinkariert im eigenen Denken zu sein, beginnt sie 2009 auf 150x 150 cm großen Leinwänden kleine Quadrate aneinander zu reihen unter eigenen auferlegten Regeln: jede Reihe besteht aus derselben Anzahl an Quadraten. Sie füllt damit fast drei Jahre lang mehrere gleichgroße, quadratische Leinwände und ein „kleinkariertes Buch“ mit entsprechend„kleinkarierten Sprüchen“. Trotz der immer gleichen Technik und den beibehaltenen Regeln – in der Mitte beginnend und maximal 1,5 cm große Quadrate - entstehen bewegte, in ihrer Gesamtwirkung völlig unterschiedliche Tafelbilder bis Barbara Höller an sich selbst zunehmende statt abnehmende Kleinkariertheit durch diese Tätigkeit diagnostiziert und das Experiment in Richtung Vergrößerung und Erweiterung verlässt. In ihren folgenden Arbeiten unter dem Titel „CHECK“ wendet sie sich den Kreuzungspunkten der Quadrate zu. Barbara Höller teilt die Bildräume in vier Viertel und beginnt damit Raum zu vergrößern, zu erweitern und ein Stück weit auch aufzulösen. Gelungene Ergebnisse genauer Selbst-Forschung und zugleich kreative Transformation ihrer Selbstkritik, um überraschend bei den Leidenschaften ihres ersten Berufswunsches Architektur anzukommen. Mit der Serie „concurrent access“ (2015) lotet sie reale und virtuelle Raumkonstruktionen aus, die in variabel kombinierbare Raumbilder münden. Die in Vierergruppen angeordneten quadratischen, weißen Bilder mit exakten, schwarzen Linien lassen sich jeweils um 90 Grad drehen und eröffnen damit neue Linien-, Bild- und Raumwahrnehmungen: „Die Relationen der Linien fordern bei Betrachtung einen konstruierenden Blick, der den dekonstruierten Raum wiederherstellen möchte.“[5]

Da ist sie wieder: Barbara Höllers Bewegung zwischen Offenheit und Exaktheit, zwischen Konstruktion und De-Konstruktion, zwischen Kunst und Mathematik – in gekonnter Weise miteinander in Beziehung gesetzt und verdichtet. Barbara Höller löst Linie, Farbe und Bild vom Bildträger, um ein anderes Mal wieder zum Tafelbild zurückzukehren, wenn es das geeignete Medium ist, mit dem Erkundungen auf den Punkt gebracht werden können. Auch darin liegt ihr künstlerisches Können, das richtige Medium, die richtige Form zu finden, um in der Abstraktion klare Aussagen formulieren zu können. Klar und schön. Oder pathetisch formuliert: „Nun aber ist nichts schön, als was wahr ist, und nur Wahrheit wirkt auf menschliches Herz.“[6]
Barbara Höllers Arbeiten sind klar, wahr, schön und wirken.


[1] Interview Barbara Höller mit Petra Unger 24.6.2015.

[2] ebd.

[3] Website Barbara Höller, http://www.barbarahoeller.at/seiten/14saubere-mischung.html
Letzter Zugriff: 04.02.2016

[4] Bruno Latour, französischer Soziologe und Philosoph

[5] Website Barbara Höller, http://www.barbarahoeller.at/seiten/15concurrent-access.html
Letzter Zugriff: 04.02.2016

[6] Aus: Dramaturgische Fragmente, 1781, In: Die Entwicklung des bürgerlichen Dramas im 18.Jahrhundert. Ausgewählte Texte, Hg. Jürgen Mathes, Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1974, S.22