Interview mit Martha Martha Bösch , 2004 |
Homo ludens oder die Immaterialität des Materials |
Barbara Höller erschafft keine Bildwelten, sie erfindet Spielregeln, entlang derer sie auf dem Feld der Malerei forscht und ihre Entdeckungen in Ordnungssysteme bringt. Ihre Bildobjekte sind sozusagen die Spielbretter, wo nun d ie er Betrachter Innen die verborgenen Regeln entdecken und mitvollziehen kann. Mitttels präziser Bohrungen sind Rasterfelder von kreisrunden Vertiefungen angelegt, die entweder Farbschichten freigeben oder mit Farbe gefüllt sind. Diese mikrodimensionale Verräumlichung lässt über die Bildränder hinaus einen theoretisch unendlichen Raum entstehen, der in wechselnder farbenergetischer Intensität pulsiert. Es sind Materialbilder, die den Charakter des Immateriellen aufweisen und den virtuellen Erscheinungen des Netzes nahe stehen. M. B.: Die Kunstrichtung, in der Sie angesiedelt sind, nämlich die abstrakt-konkrete Kunst, hat in Österreich eine eher schwierige Position auf dem hart umkämpften Kunstmarkt. Der Sammlerkreis ist klein und es gibt keine bedeutende öffentliche Sammlung oder Institution, die konkrete Kunst in der Öffentlichkeit etabliert hätte wie beispielsweise in der Schweiz. B. H.: Es gibt tatsächlich sehr wenige Ausstellungen, die sich in den letzten Jahren mit diesem Thema beschäftigt haben. Es scheint hier in Wien einfach wenig Interesse dafür zu geben. Die Schweiz hat da eine lange und hoch interessante Tradition und auch die Kunst im Osten, beispielsweise in Tschechien, Ungarn und Polen hat ausgeprägte konkret-abstrakte Traditionslinien, die weit zurückreichen. In Österreich ist es nie zu flächigeren Ausbreitungen dieser Kunstrichtung gekommen. Wobei der Bruch mit der Moderne durch den Nationalsozialismus sicherlich eine entscheidende Rolle gespielt hat. Danach gab es bedeutende Einzelpositionen, aber kaum mediales Interesse. Im Moment prägt Kunst im Öffentlichen den Kunstdiskurs, also Kunst, die sich gesellschaftlich und politisch artikuliert und sich mit aktuellen Themen wie Migration oder soziokulturellen Spannungsfeldern auseinandersetzt. Gerät man da als abstrakt-konkrete Künstlerin nicht unter Legitimationszwang? Ich glaube, dass es immer Phänomene in der Zeit geben wird, die sehr im Vordergrund stehen, was nicht heißt, dass es daneben nichts anderes mehr geben darf. Konkret-abstrakte Kunst hat ihre Berechtigung und wird irgendwann wieder stärker wahrgenommen werden. Dass das Kunstgeschehen sich auf Kunstrichtungen wirft, die sozusagen "neu" sind, ist verständlich, weil das Neue reizt, während man sich mit Kunstrichtungen, die nicht offensichtlich neu sind, nicht so gern beschäftigt. Dort muss man eben genauer hinschauen und sich eingehender damit auseinandersetzen. In der Malereiuntersuchung/-forschung kann es keine großen Schritte mehr geben, die sind getan. In meiner Arbeit geht es um feine, kleine Schritte, um eine Detailsuche. Die kann nicht so publikumswirksam sein. Wenn ich Texte zur zeitgenössischen Kunst lese, fällt mir auf, dass die Wendung "der/die KünstlerIn untersucht, erforscht ...." gehäuft auftritt. Wandelt sich die Rolle des Künstlers/ der Künstlerin, gibt es eine stärkere Tendenz zur WissenschaftlerIn? Ich glaube, dass Kunst immer schon eine ausgeprägte wissenschaftliche Komponente hatte, man denke etwa an die Künstler der Renaissance mit ihrer Erforschung der Perspektive. Ich glaube, es geht immer um die Erforschung von Grenzen. KünstlerInnen sind von Natur aus neugierig und versuchen Grenzen auszuloten und zu überschreiten. Kunst liegt genau in diesem Erfahrungsgrenzbereich. Eine Grenze kann man zwar überspringen, aber dann wird man sie nicht wirklich durchdringen, Grenzbereiche müssen erforscht werden und das ist meiner Meinung nach die Arbeit der Künstler Innen . JedeR ernst zu nehmende KünstlerIn setzt sich ein Thema und geht schrittweise vor, setzt sich forschend mit den Möglichkeiten, die enthalten sind, auseinander. Mein Thema ist die Malerei: Was kann Malerei sein? Auf diesem Feld forsche und experimentiere ich. Ausgehend von meinem persönlichen Wissen und meinen persönlichen Möglichkeiten suche ich nach neuen Formen um diese Forschungsergebnisse umzusetzen. Das ist ein langer und langsamer, sich über viele Jahre erstreckender Prozess, wo ich immer wieder einen Aspekt herausgreife und weiterentwickle. Vor den "Bohrungen" habe ich sehr reduzierte Bilder auf Pappelsperrholz in Eitempera ausgeführt. Ich habe die ganze Farbfläche mit dem Pinsel sehr dicht gestupft um eine strukturierte monochrome Farboberfläche zu erzeugen, also ein sehr körperintensiver und langwieriger Vorgang. Wichtig waren dabei die frei gelassenen Stellen, die den Holzuntergrund sichtbar ließen und Flächen im Raum markierten. Noch früher gab es Bilder, wo ich aus mit Ölfarben erzeugten Oberflächen Formen mit der Spachtel "herausgeschält" habe – wodurch frottageartig die Struktur eines Parkettbodens oder einer dahinterliegenden Wand herausgekommen ist. Diese frühen Arbeiten waren noch wesentlich emotionaler. Körperliche Bewegung ist in meinem Arbeitsprozess von Anfang an wichtig gewesen. Manchmal habe ich die Farbe mit den Fingernägeln rausgekratzt, bis die Finger blutig waren. Was ist dieser exzessive Zug? Vielleicht ist es die andere Seite der Meditation oder der Ruhe oder der Geometrie, die ich jetzt verfolge. Ohne dieses Exzessive, wenn man nicht spürt, dass irgend etwas raus muss, macht man vermutlich keine Kunst. Diese Arbeiten sind entstanden, als ich noch sehr jung war, als ich versucht habe, mich und meinen Körper in das Bild hineinzubringen. Es ging mir darum, das Bild zu befragen: "Was bist du?" Auch viel später bei den Bohrarbeiten ist es mir am Anfang nicht um Genauigkeit gegangen, sondern um den körperlichen Einsatz beim Bohren. In den "Farbbohrungen" beispielsweise habe ich auf MDF-Platten viele hauchdünne Farbschichten aufgetragen, zum Schluss mit einer dickeren weißen Schicht übermalt und dann die Bohrungen in die Farbe hineingesetzt. Je nachdem, wie tief und wie schräg ich gebohrt habe, ist jeweils eine andere Farbschicht sichtbar geworden. Dahinter steht wieder die Frage nach der Malerei. In dem Fall interessiert mich nicht das Aufbauende der Malerei, sondern der umgekehrte Weg, indem ich die Schichten der Malerei wieder heraushole. Das ist mit einem relativ strengen Konzept, aber auch mit viel manueller Arbeit verbunden, die ich als durchaus lustvoll erlebe. Warum haben Sie Holz bzw. MDF-Platten als Werkstoff gewählt? Holz ist ein Werkstoff, der mir gefällt, weil er sinnlich ist. Ich habe immer viel gezeichnet und der Griff vom Papier zum Holz war sehr nahe liegend für mich. Ich habe auch versucht auf Leinwand zu arbeiten. Aber dieses Nachgiebige, Weiche war nichts für mich. Ich brauche die harte, glatte Fläche, mit der ich arbeiten kann. So hat sich Holz ergeben. Allerdings nicht Holz mit seiner ganzen romantischen Alternativ-Assoziation der Siebzigerjahre. Ich komme nicht vom Land und habe mit der Natur sehr wenig zu tun. Es war die Suche nach einer industriellen Form von Holz, die ich früher im Pappelsperrholz gefunden hatte, das ja noch eine leichte Maserung aufweist, und schließlich in den MDF-Platten, wobei mir deren Neutralität, dieses Nicht-mehr-ersichtlich-sein, woher das Material kommt, sehr sympathisch ist. Man könnte KünstlerInnen wie Ihnen oder Fritz Ruprechter oder einer Reihe von anderen Materialfetischismus vorwerfen. Man könnte die Frage stellen, ob all diese Untersuchungen zur Malerei nicht auch ohne die Fixierung auf konkrete Materialien möglich wären. Ich empfinde das nicht als Vorwurf. Ich sehe im Gegenteil die Auseinandersetzung mit Material positiv: Sie ist die Basis für meine Forschungen. Die Arbeiten würden rein gemalt oder am Computer erzeugt nicht nur anders aussehen, sie würden auch einen ganz anderen Inhalt haben. Mir geht es auch um die Körperlichkeit des Materials, um die dreidimensionale Wirkung und nicht um eine plane Fläche, die illusionistisch eine Räumlichkeit entwickelt. Illusionismus ist für mich ein Greuel. Ich finde, dass das Begreifen des Materials oder die Irritation, die manchmal entsteht, wenn man nicht genau weiß, was für ein Material es ist, heute eine wichtige Fragestellung darstellt. Denn durch die Virtualität und die Unmenge von Bildern, die uns umgeben, ist das bewusste Umgehen mit Material im Denken nicht mehr vorhanden. Es herrscht ein Mangel an sinnlicher Erfahrung. Aber die geistige Auseinandersetzung kann erst passieren, wenn Material begriffen wird. Es geht über die einfachen Dinge. Man muss Material begreifen, ganz wortwörtlich, wenn man etwas über Welt erfahren will, die Welt begreifen will. In Ihren Arbeiten scheinen Raster eine wichtige Rolle zu spielen. Raster sind ein Grundelement von industrieller Produktion und Forschung. Es gibt z.B. einen Vorgang am Computer, der mich immer wieder fasziniert: Festplatten muss man manchmal defragmentieren und da ergeben sich dann so wunderschöne Bilder am Computer, wenn diese Teilchen wieder zusammengefügt werden. Man kann wie in einem Film zuschauen, wie aus einem Chaos eine Ordnung, eine Fläche entsteht. Ich habe dazu Arbeiten gemacht, die sich eindeutig auf das Computerbild beziehen und das Chaos vor dem Defragmentationsprozess darstellen. Wenn man den Raum als sozialen Raum auffasst, konfiguriert er sich durch Körper, denen eine Vielzahl von Handlungsmustern und Codes eingeschrieben ist. In diesem Sinne könnte ich Sie auch so verstehen, dass Räume offener werden, weniger vorbestimmt, weniger nach vorgegebenen Regeln bespielt, wenn man sich auf Ihr Kunstspiel einlässt ... Ja, genau in diese Richtung geht mein Ansatz. Ich empfinde oft, dass Menschen Angst vor der Weite und Leere haben, das ist anscheinend dem Menschen eigen. Leere, Weite, da muss man sich selber definieren, da muss man seinen Platz finden, da muss man sich auch bewegen können und das ist gar nicht so einfach, wie es scheint. Ich glaube aber, dass diese Erfahrung sehr wichtig ist. Was ich bei Ihrer Kunst beobachte, ist Klarheit, Ordnung, auch Transparenz im Konzeptuellen, Offenlegen der Spielregeln, aber auch Verspieltheit, Abweichungen .... Die Kunst hat sich immer wieder, spätestens seit dem 18. Jahrhundert, eine emanzipatorische Wirkung auf die Fahnen geschrieben. Sehen Sie innerhalb der konkreten Kunst auch emanzipatorische Möglichkeiten? Kunst soll natürlich Wirkungen haben! Wenn ich mir eine Wirkung wünsche, dann ist es eine Erweiterung des Geistes, eine Öffnung der Gedanken im Sinne von der Fähigkeit über den Tellerrand schauen zu können. Ich spiele mit Ordnungen, die immer wieder über den Bildrand gehen. Vom Gedanken her wären sie weiterführbar in den Raum, in dem das Bild hängt. Das erzeugt Weite, weitet das Bewusstsein. Die BetrachterInnen fragen sich: Kann Geht diese Struktur weiter gehen oder nicht? Diese Ausbreitung ist für mich gleichzusetzen mit dem Wunsch, dass man als Mensch fähig ist, sich aus der eigenen Enge zu befreien und sich zu öffnen, hin und wieder wenigstens. |
Martha Martha Bösch (das Interview entstammt dem Buch "10 Jahre Ausstellungen im ÖBV Atrium") |