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Daniela Gregori , 2001

NICHT EINMAL EIN JAHRZEHNT
Von Höhen, Tiefen und Expeditionen


Über die Arbeiten von Barbara Höller der letzten Jahre nachzudenken bedeutet, erkennen zu müssen, daß sie sich immer mehr von dem indexikalischen Prinzip der Malerei verabschiedet hat; - kein Ansatz für eine Graphologie, etwa eines Pinselstriches, keine Geste von Temperament, die auf die Individualität eines Künstlers - in diesem Falle einer Künstlerin - schließen ließe, also kein Hinweis auf so etwas wie eine Handschrift.

Zwei Aspekte im Werk der Künstlerin sind, obwohl sich die Arbeiten rein formal grundlegend geändert haben, gleich geblieben und sind somit für eine gewisse Unverwechselbarkeit zuständig. Der eine Aspekt ist die Frage des "was passiert wenn...?", also das Experiment, der andere das Arbeiten nach bestimmten Regeln, ein oftmals strenges Prinzip des "Ordnung Schaffens". In ihren Ausstellungen  "= UND ="  in der Blau-Gelben Galerie in Wien im Jahre 1994 und zwei Jahre später in der Präsentation "CMY Dual" in der Linzer Räumen von Portfolio waren es noch Farbe und Symmetrie bzw. in weiterer Folge die Zahl Zwei, mit denen sich die Künstlerin beschäftigte. Die Farben waren hierbei nie die reinbunten, sie wurden gemischt, getrübt, verunreinigt, sodaß es letztlich dem Betrachter schwerfällt sie zu benennen: Dunkelschwarzblau wäre so eine behelfsmäßige Definiton, oder aber es bleibt der Vergleich mit persönlichen Wahrnehmungen und Stimmungen. Aus der Zeit in Rom existieren etwa Bilder in einem Gelb, welches der Farbe eines Palazzo im Abendlicht der untergehenden Sonne nahekommen. Die selbstgeriebene Eitempera wurde durch Aluminiumstaub oder im Falle der gelben Bilder durch Kupferstaub veredelt und mittels Pinselspitze aufgestupft. Mit gutem Willen konnte man hier ein letztes Mal so etwas wie Pinselduktus erkennen: Was aus der Ferne als monochrome Fläche erschien, wurde aus der Nähe betrachtet zu einem lebhaften Verdichten von Pigmenten, zu kleinen oft glänzend bis glitzernden Farbinseln zwischen scheinbar transparenten Stellen. Messerscharf gezogene Linien, Winkel, Quadrate und deren Kombinationen legten den Blick frei auf industriell gefertigtes Pappelsperrholz, den Malgrund und jene Figuren blieben dabei nie alleine. Auf den vorerst großformatigen Platten wurden die Figuren gespiegelt, verdoppelt, wiederholt und fanden daraufhin bald ihre Entsprechung in den passenden Pendants. Die Tatsache, daß diese Doppelbilder zusammen gehören und trotzdem zwei sind, machten es der Künstlerin möglich, Zwischenräume und Hängehöhen, miteinzubeziehen. Auf den ersten Blick wirkten diese Bilder immer streng, reduziert und wohlgeordnet, doch nur selten ließ die Künstlerin hierbei die Gelegenheit aus, mit der Wahrnehmung des Betrachters und der Betrachterin allerlei Schabernack zu treiben.

Barbara Höller hat es mit ihrer Kunst nie jemanden wirklich leicht gemacht, sich selbst am wenigsten. Mit der Werkgruppe, die folgte und unter dem Titel "True Colour"2 erstmals in der Galerie der Stadt Wels 1996 gezeigt wurde, lotete die Künstlerin ihre eigenen psychischen wie physischen Grenzen aus. Es war dies der Versuch mittels einer selbst entwickelten mathematischen Formel auf sehr großen Pappelsperrholzplatten "Ordnung" ins Bild zu bringen. Anstatt mit Eitempera und Metallstaub arbeitete die Künstlerin nun mit reiner Grundierfarbe, die normalerweise nur zwischen dem Bildträger und der Farbschicht aufgetragen wird. Das Nebeneinander von Farbe und Durchblick auf den Malgrund wich einem Übereinander von bis zu 27 Weißschichten. Jedem Farbauftrag, bei denen die Künstlerin mit ihren besenähnlichen Pinseln einer Zen-Buddhistin glich, die ihr Steingärtlein mit einem Rechen bearbeitet, folgte das Ablösen von kleinen rechteckigen Abklebungen nach eben jenem System welches die Formel vorschrieb. Als Anleitung diente ihr dabei ein großformatiger Zettel, dem die Bezeichnung Partitur viel eher gerecht wird als das Wort Skizze. Es dürfte kein Zufall sein, daß diese "meditative Selbstdisziplinierung" auf die Zeit eines längeren Japanaufenthaltes viel.

Ein Vogel, der sich eher zufällig in das Atelier der Künstlerin verirrte und seine ätzenden Spuren auf einem Großteil der hochsensiblen weißen Bilder hinterließ, setzte die Künstlerin zurück an den Start und dem Ganzen dadurch auch leider ein allzu abruptes Ende. Tatsache ist, daß die darauffolgenden Bilder der Werkgruppe »Glut« abwaschbar waren. Unter den strahlend weißen Schichten dieser Arbeiten waren einige knallrote Farbebenen versteckt, von denen nach Abnahme der Abklebung nur ein schmaler leuchtender Grat zu sehen war. Nachdem nun Barbara Höller uns Farbschichte für Farbschichte der Sprache der Eskimos gleich lehrte wie vielfältig Weiß in allen seinen Schattierungen sein kann, wandte sich ihr Interesse in Richtung Gegenpol, der Vertiefung. Wie die Sprache der Pintupi-Aborigines über zehn verschiedene Bezeichnung für das Wort »Loch« in ihrem Repertoire hat, fand auch Barbara Höller vielfältigste Lösungen.

Bohrarbeit, so die Definition eines Lexikons, und dies trifft ebenso für die Arbeiten von Barbara Höller zu, ist das Einarbeiten von Löchern in eine feste Masse zur Untersuchung der Beschaffenheit des Materials oder dessen, was sich unter der Oberfläche befindet. Und - so erkannte es bereits Friedrich Schlegel in seinem 10. Lyceumsfragment 1797: »Man muß das Brett bohren, wo es am dicksten ist.« Was damit gesagt werden soll ist, daß bei der vorerst vermeintlichen Strenge er Arbeiten der Künstlerin ist ihre Herangehensweise eine vielleicht auch »augenzwinkernd« romantische.

Kunst ist immer der Versuch gegen Entropie - jenes physikalische Gesetz dessen Aussage es ist, daß jede Materie sich im Laufe der Zeit in völlige materiale Gleichförmigkeit verwandelt - anzukämpfen. Barbara Höller nimmt dies ganz wörtlich. Feinvermahlene Holzfasern zu mitteldichten Faserplatten, kurz MDF Platten, gepreßt, der neue Werkstoff, dessen sich die Künstlerin bedient, verkörpern Entropie aufs vortrefflichste. Bei dem Werkkomplex der Materialbohrungen werden wie bereits in den letzten Jahren von der Künstlerin Regeln aufgestellt, nach denen die Platten bearbeitet werden. Waren es bei den früheren Arbeiten der studierten Mathematikerin noch feste Formeln, die als Grundlage dienten, sind es nun viel offerne Spielregeln. Für die Künstlerin ist dies eins, denn es geht ihr um die Lösung von Problemen, die sie sich und dem Material stellt. Es wird so tief wie möglich gebohrt, ohne das Brett zu durchstoßen, so flach wie möglich und trotzdem zwischen den Höhen differenziert. Beide Male wird hierbei die gesamte Fläche des Werkes ausgefüllt und die Begrenzung ignoriert. Die Angst vor der Leere, der "horror vacui" der mittelalterlichen Buchmalerei trifft sich mit dem Prinzip des "alllovers" des 20.Jahrhunderts. Im anderen Teil dieser Materialbohrungen werden ästhetisch, symmetrisch, spärlich und sehr gezielt gesetzte Bohrungen mir Klarlack versiegelt oder mir Farbe wieder geschlossen.

Die Werkgruppe der Farbbohrungen verläuft nach anderen Spielregeln: Auf die vollkommenen Entropie der MDF-Platten werden nun nach weitgehendster Farbabstinenz, bis zu 20 verschiedene Schichten aufgetragen. Diese 20 Schichten Ordnung werden nun wieder in Unordnung versetzt, in dem sie zerstört, also nach einem bestimmten Regelsystem angebohrt und wieder sichtbar gemacht werden. Der erzielte Effekt erinnert an die Rückseite von Perlmuttknöpfen oder an das Schillern von Seifenblasen, so auch der Titel "bubbles". Das Experiment findet also nicht wie bei den Materialbohrungen im sondern auf dem Trägermaterial statt. Für die neuesten der Farbbohrungen hat Barbara Höller lange mit den letzten beiden Schichten experimentiert. Sie wollte ein bestimmtes Leuchten auf der Bildoberfläche erzielen, welches sie in Wien bei einem Wandanstrich aus der Zeit des Historismus entdeckt hatte. Die Lösung des Problems fand sie, indem sie für die vorletzte Schichte einen silberfarbenen Anstrich wählte. Und wie bei einer immer wieder bemalten Wand ist man auch hier neugierig was unter der nächsten Schichte liegt. Barbara Höller schürt diese Neugierde noch, indem sie durch ihre Bohrungen immer nur ein klein wenig freilegt. Ein Trost mag sein, daß sie die Neugierde mit uns teilt.
Daniela Gregori [Katalogtext »drill«]