Rainer Metzger , 2001 |
STÜTZE, HILFE, EINLAGE, TRÄGER, HALTER, UNTERSTÜZTUNG |
Tagebau, Tiefbau Wenn Emile Zola, als Programmatiker des Impressionismus einer der einflußreichsten Kunstliteraten des letzten Jahrhunderts, von einem Werk besonders beeindruckt war, pflegte er zu formulieren: "Das Bild bohrt ein Loch in die Wand". Nun ließ er derlei Emphasen mit einer weitaus geringeren Häufigkeit, als sich die Kritik heutzutage in Begeisterung, Lob und Affirmation übt, vom Stapel, doch waren sie verbreitet genug, daß sie einem, gerade wenn man sie in den Anthologien liest, wo die sporadisch publizierten Texte nunmehr hintereinander aufscheinen, auf die Nerven gehen. Nach dem fünften Loch, gebohrt von Manet, Pissarro oder Zolas Jugendfreund Cézanne, ist man spätestens der Metapher überdrüssig. Die Literatur, so lernen wir, sollte sich nicht zu oft der gleichen sprachlichen Bilder bedienen. Die bildende Kunst hat es diesbezüglich einfacher, zumal ihr das Metaphorische sowieso versagt ist. Löcher zu bohren ist speziell dann, wenn es gehäuft vorkommt, als Strategie geadelt und wird zum Signum künstlerischer Eigenheit und Eigentlichkeit. Einer Unverwechselbarkeit eben dieser Art hat sich Barbara Höller in den letzten beiden Jahren, wie man so sagt: verschrieben. "Farbbohrungen" und "Materialbohrungen" sind dabei entstanden und mit diesem Vortreiben in subkutane Schichten jede Menge an manchmal willkürlich, manchmal nach Raster und manchmal nach einem All Over-Prinzip verteilte Löcher. Daß die beiden Verfahren der zunächst betriebenen Farb- und der anschließend ins Werk gesetzten Materialbohrungen sich komplementär zueinander verhalten, hat die Künstlerin in ihrer eigenen, rein dem Sachverhalt verpflichteten Benennung zur Sprache gebracht. Es lohnt sich allerdings, nochmals eine Metaphorik zu bemühen, um sich dieser Komplementarität weiter anzunähern - zumal eine Farbe, in die sich bohren läßt, sowieso nicht nur optisch, sondern immer auch materialiter vorhanden ist. Begeben wir uns also auf das Begriffsfeld des Montanwesens. Die Farbbohrungen haben so gesehen eine Ähnlichkeit mit dem Tiefbau. In das Bild, das sich aus unzähligen Schichten gleichmäßigen Auftrags jeweils monochromer Farbe aufbaut, ist von der Oberfläche aus eine Art Schacht getrieben, ein millimeterdünner Vortrieb, der niemals so exakt ausfallen kann, daß er nicht mehrere der Farblagen erfaßte. Zutage gefördert ist ein schillerndes Spektakel aus Buntheit, eine Psychedelik en miniature, bei der augenscheinlich wird, daß sich das Bild aus heterogenem, weil von verschiedenen Farben und entsprechend verschiedenen Lagen zur Verfügung gestelltem Material aufbaut. Dieser Tiefbau zeigt die Sedimentierungen, die vorher stattgefunden haben. Die Materialbohrungen dagegen greifen in homogenes Material ein. Dieses Material wird von MDF-Platten gebildet, einem künstlichen, hochentropischen Mischmasch aus Abfällen, der in die Fasson eines Holzersatzes gepreßt ist. Die Bearbeitung dieser Platten erfolgt gleichsam im Tagebau. Von der Oberfläche der Platten aus wird ab- und weggearbeitet, solange bis kein Quadratzentimeter der urprünglichen Deckseite mehr an seinem Platz ist. Eine schrundiges Ineinander von Negativzylindern bleibt übrig, eine buchstäbliche Physik des Materials, ein Auf und Ab des immer Gleichen. Bei dieser Art von Bohrung liegt das Augenmerk nicht auf den Sedimenten, sondern auf dem Abraum. Die Konsequenz, mit der beide Verfahren aufeinander Bezug nehmen, ist jedenfalls dezidiert: Bei diesem wird Oberfläche untersucht, bei jenem Untergrund. Mit den Verfahren, so stellt es sich insgesamt dar, gehören auch die Untersuchungsgegenstände, auf die sie angewandt werden, zusammen. Fläche, Flachheit In dieser strengen Logik einer Investigation dessen, was ein Bild materiell ausmacht, steht Barbara Höllers Arbeit in einer buchstäblich post-modernistischen Tradition. Sie begann, und die Kontinuität zu Barbara Höllers Position ergibt sich schon dem Augenschein, mit Minimal. Doch wird diese Tradition gerade in der Parallelität der beiden Bohrungsarten nochmals speziell hervorgehoben. Clement Greenberg, die Galionsfigur des Modernismus, hat der Kunst ein Vermächtnis hinterlassen, das ganz und gar unfreiwillig war. Greenbergs Meistererzählung von der Gattung Malerei, die sich im Laufe der Kunstentwicklung deswegen mehr und mehr zur Kenntlichkeit bringt, weil sie die eigene Materialiät reflektiert, hatte, es ist oft geschildert worden, ein Zauberwort: Flachheit, Flatness, auf die die Gemälde gleichsam von selbst kommen, weil ihr Träger nun einmal zweidimensional ist. Das modernistische Bild war also flach und abstrakt und rein und mit dieser puren Gegebenheit auch völlig ausgelastet. So faßt Greenberg also in "Modernist Painting" seine berückend simple Defintion in folgende Worte: "It was the stressing of the ineluctable flatness of the support that remained most fundamental in the processes by which pictorial art criticized and defined itself under Modernism". Doch war die Definition leider allzu simpel, und Greenberg mußte dies selbst erkennen. In eben dem Jahr 1961, in dem sein Text erschien, war Frank Stella auf den Plan getreten, und die "Shaped Canvasses", die seine Strategie markierten, markierten auch das Problem: Sie waren flach über die Maßen, doch ähnelten sie in der Polygonalität, mit der sie sich im Raum präsentierten, eher Reliefs. Von der Flatness her waren sie beispielhafte modernistische Malerei; als Wandstücke aber hatten sie etwas von Plastik. Stella legte den Finger in die Wunde von Greenbergs eben zitierter Formulierung von der "ineluctable flatness of the support". Diesen zweiten Punkt, Support, hatte der Meister wenn nicht übersehen, so gering geachtet. Bilder, Tafelbilder, Gemälde, zeichneten sich womöglich durch Flatness aus; doch sie hatten auch Support. Sie waren flach, weil ihr Träger flach war; doch dieser Träger, dieser Halter, diese Stütze, diese Unterstützung etc. war dennoch auch ein Ding, ein Objekt, ein eigenes und eigensinniges Phänomen. Der Support ist flach, weil er eine Oberfläche hat; doch er ist beileibe keine Fläche. Stella war die Initialfigur für das post-modernistische Dementi an Greenberg und seinen Thesen. Die Kunst erwies sich als vielfältiger als die Kritik, die sie auf den Begriff zu bringen suchte; andererseits waren es natürlich Greenbergs griffige Meinungen, die der Minimal und Conceptual und Body und Performance Art die unbeabsichtigten Hebammendienste leisteten. 1969 gab Greenberg auf. Die fast drei Jahrzehnte, die er noch zu leben hatte, sahen keinen einzigen Text mehr von ihm. Oberfläche, Untergrund Was Greenberg mit "Support" meinte, ist durchaus leicht zu verstehen, aber schwer zu übersetzen. Greenberg dachte sich einen Begriff, der dasjenige benennt, worauf sich "Flatness" darbietet. Doch natürlich ist dieser Gedanke paradox. Der Träger von Flachheit kann schlechterdings nicht selber flach sein, sondern muß als Phänomen der Realität deren Dreidimensionalität entsprechen. Wie jede Meistererzählung baute alsoauch die Greenbergianische auf einem Ideal auf. Wenn eine Kunst der sechziger Jahre sich diesem Ideal tatsächlich anzunähern suchte, so war es die Pop Art mit ihrem Prinzip der Folien, die per Siebdruck, dessen Druckvorrichtung im Englischen auf den schönen Namen "Flat-Bed" hört, auf die Leinwand gebracht wurden; hier trennte sich in der Tat die Fläche des Bildträgers von der Flachheit der massenmedial bearbeiteten Vorlagen. Greenberg selbst ließ die Chance allerdings aus, einen Rauschenberg oder Warhol seiner Theorie einzuverleiben; sie waren eben nicht abstrakt. Abstraktion ist in einer Zeit, in der Barbara Höller Kunst macht, nun wirklich kein Kriterium mehr. Um so mehr liefert die von den Farb- und Materialbohrungen ausgelote, integrale Zusammengehörigkeit von Oberfläche und Untergrund die Möglichkeit zu einer aktuellen Materialästhetik. "Flatness of the support": Es ließe sich keine bessere Formulierung erfinden, um die Bereiche zu benennen, denen ihre Investigationen gelten. Gerade in den ans Infinitesimale grenzenden Tiefendimensionen der Farbbohrungen wird Oberfläche sowohl her- als immer auch in Frage gestellt. Und die schrundige Oberfläche der Materialbohrungen, die immer den Ausgangs- und den Ansatzpunkt darstellt, von dem aus aufs Neue in eine sowieso undezidierte, weil völlig von Homogenität gezeichnete Tiefe vorgedrungen wird, zeigt ihrerseits an, was Untergrund ist. Barbara Höllers Kunst kreist um eine Ästhetik des Supports. Da wird nicht Material ausgelotet, weil es esoterisch wie bei Beuys oder ekelhaft wie bei Dieter Roth oder referentiell wie bei den Serialisierungen von Minimal daherkommt; Material steht zur Disposition, weil es Bildträgerschaft zur Disposition stellt. Das ist wenig spektakulär. Aber es ist konsequent. Seit Greenbergs Abgang gibt es eine polyglotte Antwort auf seine Gattungsbestimmungen: Sie wird beispielhaft gegeben von Künstlern wie Bruce Nauman, deren Oeuvre sich vielfältig wandelt. Und es gibt eine monomane Antwort, die Greenbergs Bestimmungen wörtlich nimmt. Von Lawrence Weiner bis Donald Judd haben viele Künstler deshalb eine Veränderung ihrer Positionen radikal in Frage gestellt. Barbara Höller gehört allemal zu den Monomanen. Doch es ist beileibe nicht ausgemacht, daß dieser Verzicht auf das Spektakulärere auch den Verzicht auf das Interessantere bedeutet. |
Rainer Metzger [Katalogtext "drill"] |